Erika Bezdíčková und das europäische Projekt „VERFOLGT – VERSCHWUNDEN – GESUCHT…

Das von dem österreichischen Künstler, Forscher und Seelenwissenschaftler Rainer König-Hollerwöger erschienene Buch “HOLOCAUST-ÜBERLEBENDE Erika Bezdíčková – 
Lichtspuren des Erinnerns im Kulturklang der Gegenwart und Zukunft” ist der Ausdruck des mehrjährigen Projekts der europäischen Zusammenarbeit mit der Journalistin Erika Bezdíčková, die in Brünn (Brno) lebt.
Frau Erika Bezdíčková hat ihre ganze Familie in Auschwitz verloren, als Zeugin den Holocaust überlebt und leidet ihr ganzes Leben an dessen Folgen. Sie bemüht sich darum, dass ihre Warnung junge Leute und Kinder hören. Deswegen akzeptiert sie die Einladung von diversen Schulen bei uns (in Tschechien) und in anderen Ländern und steht so in einem Dialog mit allen, die an sie Fragen stellen wollen.

Am ersten April 2015 sprach sie zum Beispiel in der Masaryk – Universität (Masarykova univerzita in Brno) vor 250 Studenten verschiedener Studienrichtungen. Ein bedeutender Teil der Präsentation war dabei auch ein Film, den die bekannte Filmerin Olga Sommerová mit Erika Bezdíčková gedreht hatte.

Dieses Buch (von Rainer König-Hollerwöger) besteht aus verschiedenen Texten und Genres. Die Erlebnisse des Autors und seiner Mitwirkenden vermischen sich mit den Aussagen von Erika Bezdíčková, sei es in der Form von Zitaten aus ihrem Buch „Moje dlouhé mlčení” („Mein langes Schweigen“), das in guter Übersetzung von Frau Mag. Pavla Váňová in Deutsch erschienen war, oder im Erfassen unmittelbarer Reaktionen der Protagonistin in verschiedenen Situationen ihrer Anschauungen und Antworten auf konkrete Fragen.
Das Buch ist ein dynamischer Dialog,  der das Erbe der Vergangenheit und die keineswegs leichten Forderungen der Gegenwart und Zukunft verbindet. Dieser Aspekt ruft nicht nur suchende Worte und eine aufgeschlossene Atmosphäre, wie es die Zuhörer der Vorträge und Gespräche in Schulen erleben, hervor.

Die Botschaft des Buches kommt in zwei Aspekten zum Ausdruck:  Der erste Aspekt des musischen Autors ist im Überschreiten sensibler Grenzen üblicher Forscherprojekte zu suchen und wird so zum Experiment in Form und Sprache. Dabei handelt es sich nicht um einen zusammenhängenden Text, denn dieser enthält sehr verschiedene Kapitel, die sich lesen wie eine Chronik des Projekts, dessen Ziel es war und ist, ein gemeinsames Verständnis zwischen den Völkern und Religionen, der Toleranz und Humanität zu fördern.

Ein bedeutsames Instrument sind dabei die verschiedenen Reden über Kultur und Kunst. Interessant sind die poetischen Passagen des Autors über jene Flüsse, die charakteristisch für Mitteleuropa sind, so über die Flüsse March (Morava), Thaya und Donau. So beschreibt der Autor den lebensspendenden Fluss Morava durch unsere Gegend (in Mähren in Tschechien) mit einer nicht leichten Vergangenheit. Hier wird die Kontinuität des Länder, Kulturen, Sprachen und Weltanschauungen durchströmenden Flusses beschrieben. Der Stil dieser Beschreibung erinnert an Poesie mit Prosa und offenbart das persönliche Engagement des Autors gegen das Vergessen, für das Beibehalten des Erinnerns, das hier durch Erika Bezdíčková als Überlebende verkörpert wird.

Der Autor beschreibt die Landschaft, unsere gemeinsame Natur inmitten Europas, die viele Narben und Einkerbungen hat, die immer wieder einer heilsamen Behandlung bedürfen.
Die Titel der einzelnen Kapitel verraten, dass der Autor ein Musiker ist, was auch durch den Titel „FUGA ERIKA…“ verdeutlicht wird.
Die zweite signifikante Dimension des Buchtextes ist die Persönlichkeit von Erika Bezdíčková, der definitiv dieses Buch gewidmet ist. Ihre Stimme, ihre Reaktionen, ihre Erlebnisse und Reflexionen erklingen hier unmittelbar wie in einer direkten Übertragung und vielleicht im Sinne einer Tonaufnahme. Wir empfinden ihren unauslöschlichen Schmerz, aber auch ihr Temperament, ihren weisen Humor und ihr leidenschaftliches Suchen nach Werten. Sie teilt sich über ihre Erfahrungen mit Diktaturen und Gewalt, mit dem sinnlosen Leiden der Gefolterten, der zu Tode Gequälten, im Vertrauen mit. Der tiefere Sinn davon ist, dass die folgenden Generationen eine Wiederholung solcher Ereignisse nicht zulassen. Dabei spricht sie offen über ihre Befürchtungen und ihre Kriegserfahrungen und formuliert klar ihre Meinung, dass einige Länder, inklusive Österreich, sich bis zum heutigen Tag in einem Opfergewand verschleiern ohne auch die Verantwortung eines Henkers zu übernehmen.

Gegen Ende des Buches finden sich Reaktionen von Menschen aus Österreich, die ungekünstelt ihre Sympathien zu Frau Erika Bezdíčková kundtun.  Ohne Rücksicht auf deren Alter und mit großem Eifer werden von jenen Menschen dabei Fragen gestellt und somit alle Zweifel an deren lebhaftem Interesse aus dem Weg geräumt. Es wird damit bewiesen, dass ein Zusammentreffen mit Erika Bezdíčková bei vielen Menschen das Interesse erweckt, das Thema des Holocausts nicht zu verdrängen. Es hat dazu beigetragen, dass historische Perspektiven in gegenwärtig pulsierender Weise gegen das Vergessen hinausgetragen wurden und werden.

Dieses Buch ist in einem Schuldbewusstsein gegenüber Frau Erika Bezdíčková geschrieben worden, die mit einem unbeschreiblichen psychischen Engagement, mit einer physischen Anstrengung ein Zeugnis abgibt, welches zu einer Beständigkeit unseres Kulturgedächtnisses werden muss. Das Fundament dieses ungewöhnlichen Buches befindet sich meiner Meinung nach in einer interessanten Konfrontation oder besser gesagt in einem Kontrapunkt zweier bedeutsamer Stimmen: Rainer König-Hollerwöger und Erika Bezdíčková

Es ist ein unverwechselbarer Beitrag zu etwas, was wir durch die Worte des Österreichers Jean Améry (1912 – 1976) benennen könnten: „Versuch der Bewältigung des Unbewältigbaren.“
Dieses Buch bekennt sich zu einer Schuld österreichischer und tschechischer Ufer. Andernfalls könnte unsere gemeinsame Grenze ein Fluss des Vergessens werden.
Miluše Juříčková

Tschechische, ins Deutsche übersetzte Rezension der in Tschechien und in Europa bekannten Autorin zahlreicher Publikationen, Literaturwissenschaftlerin und Univ.-Prof. der Masaryk Universität in Brno, Frau Assoc. Prof. PhDr. Miluše Juříčková, CSc,
abgedruckt in der Kulturzeitung „Chajejnu – Náš život (Unser Leben)“, dem Blatt der jüdischen Gemeinde von Olomouc (Olmütz), Nummer 9, September 2015, auf den Seiten 4 und 5.
Titel des gesamten Artikels:
Erika Bezdíčková a evropský projekt PRONÁ – SLEDOVÁNÍ – ZMIZENÍ – HLEDÁNÍ
(„Erika Bezdíčková und das europäische Projekt „VERFOLGT – VERSCHWUNDEN – GESUCHT…“)